In Anlehnung an die Heiligen Schriften und antike Traditionen (Platon, Philebos; Aristoteles, Poetik, Rhetorik) erhielt das Lachen im Mittelalter eine doppelte Bedeutung: Einerseits ist es, von der klösterlichen Tradition verurteilt, ein teuflisches Zeichen, ein verwirrtes dämonisches Gelächter, die Unterbrechung der kontemplativen Stille; andererseits nimmt es die Züge des engelhaften Lächelns von Maria, Beatrice und den Seelen von Dantes Paradies an. Anschließend wird es zum Gegenstand theoretischer Überlegungen und ausgehend von der aristotelischen Idee des homo ridens wird es als „privilegio dell’uomo“ (Leopardi, Elogio degli Uccelli) oder „sentimenti del contrario“ (Pirandello, L’Umorismo) definiert.
Dem Gegenüber steht das Weinen, das ebenfalls unterschiedliche, wichtige Bedeutungsebenen aufgreift: Dante weint wiederholt in der Commedia; in Hagiographien des Mittelalters und der Renaissance befreien die Heiligen ihre Augen von geistiger Blindheit indem sie weinen; die Helden und Ritter der antiken (Ilias und Odyssee), mittelalterlichen und Renaissance-Epen (Pulci, Morgante; Boiardo, Orlando innamorati; Ariosto, Orlando furioso) weinen. Eine ganze Tradition, in deren Mittelpunkt das Weinen über den Verlust eines Kindes steht, reicht vom 13. Jahrhundert (Jacopone da Todi, Donna de Paradiso) bis zum 20. Jahrhundert (Giosuè Carducci, Pianto antico). Im Laufe der Jahrhunderte nehmen Tränen (weibliche und männliche) unterschiedliche Bedeutungen an (Hingabe, Mitgefühl, Trauer und Heldentum); in jüngerer Zeit wird das Weinen von Männern zu einem Zeichen für den Verlust der Männlichkeit.
Darüber hinaus kommt auch die Gleichzeitigkeit von Lachen und Weinen in vielen Werken immer wieder vor. Der neue Sammelband „Riso, pianto, lacrime“ vereint unterschiedliche Artikel zum Lachen und Weinen sowie der Äußerung von Emotion in der Literatur.
Claudia Jacobi und Lisa Tenderini (Hrsg.)
Riso, pianto, lacrime
Una storia letteraria delle emozioni
De Gruyter 2024